„Damit haben wir nicht gerechnet. Dass das Hamburgische Verfassungsgericht unseren Gesetzentwurf in einigen nachrangigen Punkten beanstanden würde, war zu erwarten. Dass aber nach der erfolgreichen Volksinitiative „Rettet den Volksentscheid“ die zweite Stufe, das Volksbegehren, überhaupt nicht stattfinden darf, überrascht uns doch sehr. Wir werden jetzt im Trägerkreis, dem etwa 20 Bürgerinitiativen angehören, sehr ausführlich diskutieren müssen, was wir jetzt noch tun können, damit die Möglichkeit von Volksabstimmungen „von unten“ nicht nur auf dem Papier steht“, so Manfred Brandt, einer der drei Vertrauensleute und Vorstandsmitglied beim Landesverband von Mehr Demokratie. Verfassungsgerichtspräsident Friedrich-Joachim Mehmel verlas die Begründung des einstimmig gefällten Urteils. Danach seien zwar die formellen Voraussetzungen für das Volksbegehren nicht zu beanstanden gewesen, aber bei den Inhalten sah das Gericht einen durchgehenden Verstoß gegen höherrangiges Recht. Außerdem sei das Kopplungsverbot nicht beachtet worden – soll heißen: Sachverhalte, die nicht unmittelbar miteinander zu tun haben, dürfen nicht verknüpft werden. Sprecher des Trägerkreises sahen dies naturgemäß anders: „Wir haben eine Paketlösung vorgelegt, durch die Hamburgs Demokratie gestärkt werden sollte“, so Brandt. „Das Urteil klingt wie eine Heiligsprechung der Parteiendemokratie. Es sieht aber auch nach einer Generalabrechnung mit der direkten Demokratie aus, die bekanntermaßen nicht allen Entscheidungsträgern gefällt.“ Im Initiativenbündnis befürchten jetzt viele, dass die Volksgesetzgebung in Hamburg künftig nicht mehr praktikabel sein werde. Durch seine Verfassungsänderung im Windschatten des Olympia-Referendums haben sich Senat und Bürgerschaft die Möglichkeit eingeräumt, unliebsame Initiativen jederzeit auszubremsen. Wie sich jetzt zeigt, hat sich die Volksinitiative „Rettet den Volksentscheid“ dagegen vergeblich gewehrt.
Welche praktischen Konsequenzen der Spruch des Landesverfassungsgerichts für die Aktivitäten von „Rettet den Volksentscheid“ haben wird, ist noch nicht ganz klar. Ursprünglich sollte die dreiwöchige Straßensammlung für das Volksbegehren im Juni dieses Jahres stattfinden. Nachdem der Senat beim Verfassungsgericht die Überprüfung des Gesetzentwurfs beantragt hatte, verschob sich der Zeitplan. Die Initiative stellte sich auf die drei Wochen Unterschriftensammlung vom 14. Dezember bis zum 3. Januar ein – den letztmöglichen Termin also, um im Falle eines Erfolgs den Volksentscheid als dritte und letzte Stufe des Verfahrens am Tag der Bundestagswahl 2017 abhalten zu können. Brandt: „Für alle, die Volksabstimmungen für eine wichtige Ergänzung der parlamentarischen Demokratie halten, ist der Spruch des Hamburgischen Verfassungsgerichts ein herber Schlag. Leider wird er wohl auch Auswirkungen auf andere Bundesländer haben. Auch deswegen kann und darf das nicht das letzte Wort gewesen sein.“
Angelika Gardiner, Hamburg, 13.10.2016