Auswirkungen der Verfassungsänderung

Wie wirkt ein Beschluss des Senats und der Bürgerschaft zur Durchführung eines
Bürgerschaftsreferendums über ein bestimmtes Thema auf eine Volksinitiative
zum gleichen Thema oder Gegenstand? (Gesetzentwurf der Bürgerschaft zur
Änderung der Hamburgischen Verfassung, Artikel 50, Einfügung Absatz 4b, Stand
10.5.2015)

Zum gleichen Thema oder Gegenstand heißt: Inhaltlich kann das Referendum
etwas völlig Anderes zum Ziel haben, als die Volksinitiative zu diesem Thema
erreichen wollte.

Fall 1:

Eine Volksinitiative ist zu dem Zeitpunkt des Ref. in Vorbereitung, aber noch
nicht angemeldet. Ist die Volksinitiative dann noch zulässig?

Nein.

Aus Satz 6 im Zusammenhang mit Satz 5, Absatz 4b, des Gesetzentwurfes folgt, dass
eine Volksinitiative zum Thema des beschlossenen Referendums nicht mehr zulässig ist.
Unklar ist, ob die für das Zustandekommen der Volksinitiative notwendigen 10.000
Unterschriften dann noch gesammelt werden dürfen. Wenn allerdings die
Unzulässigkeit gegeben ist, wird das keine/r mehr machen wollen.

Der Fall ist nicht sofort ersichtlich, weil die Wirkung der Verfassungsänderung auf
Volkinitiativen, die sich in einem frühen Stadium befassen, nur indirekt beschrieben ist.
Sie wäre für jedermann sofort klar gewesen, wenn folgender Satz in die
Verfassungsänderung aufgenommen worden wäre. „Volksinitiativen, die noch nicht zu
Stande gekommen und zulässig sind, werden unzulässig, wenn die Bürgerschaft mit
Zustimmung des Senats den Beschluss fasst, zum Thema dieser Volksinitiativen ein
Referendum durchzuführen.“

So ergibt die Wirkung sich nur aus den Sätzen 5 und 6, die nur die unten beschriebenen
Fälle 3 und 4 betreffen : 5) Ein zum Zeitpunkt der Beschlussfassung der Bürgerschaft
nach Satz 1 mit der erforderlichen Zahl von Unterschriften unterstütztes
Volksbegehren zum selben Gegenstand ist dem zum Volksentscheid gestellten
Gesetzentwurf oder der zum Volksentscheid gestellten anderen Vorlage auf Antrag
der Volksinitiatoren als Gegenvorlage beizufügen. 6 Dasselbe gilt für eine zum
Zeitpunkt der Beschlussfassung der Bürgerschaft nach Satz 1 zustande gekommene
zulässige Volksinitiative, wenn sie im Rahmen einer Sammlung von Unterschriften
zwischen dem 14. und 35. Tag nach der Beschlussfassung der Bürgerschaft nach
Satz 1 von einem Zwanzigstel der Wahlberechtigten unterstützt wird.

Hier entsteht der Eindruck, die ganze Regelung betreffe nur zum Zeitpunkt der
Beschlussfassung der Bürgerschaft zustande gekommene Volksbegehren und
Volksinitiativen. Wenn aber nur eine bereits zustande gekommene und zulässige
Volksinitiative in ein Volksbegehren mit extrem kurzem Vorlauf gezwängt wird, was ist
dann mit den Volksinitiativen, die noch nicht so weit sind? Sie werden mit dem
Beschluss der Bürgerschaft vom gesamten Verfahren ausgeschlossen. Wenn schon nach
für zustande gekommene und zulässige Volksinitiativen das „normale“ Volksbegehren
nicht mehr möglich ist, kann es erst recht nicht mehr für Volksinitiativen eines früheren
Stadiums der Fall sein.

Der Sachverhalt ist also verklausuliert. Das dürfte für eine Verfassung ungewöhnlich
sein. Politisch kann es im Zusammenhang mit der sehr kurzfristig anberaumten
Verfassungsänderung als Verschleierung von Rechtswirkungen angesehen werden.

Eine Volksinitiative ist angemeldet, aber noch nicht zustande gekommen. Ist die
Volksinitiative noch zulässig?

Nein.

Auch wenn die Volksinitiatve die notwendigen Unterschriften noch kurz nach dem
Beschluss einreicht, wird sie nicht zulässig sein, siehe Fall 1.
Wahrscheinlich werden die eingereichten Unterschriften nicht ausgewertet, weil die
Unzulässigkeit auf der Hand liegt. Es kann auch sein, dass die Unterschriften deswegen
nicht angenommen werden.
Wenn die notwendigen Unterschriften noch kurz vor dem Beschluss der Bürgerschaft
eingereicht werden, ist nicht klar, ob die Feststellung des Zustandekommens sofort
abzubrechen ist. Aber selbst wenn in diesem Fall das Zustandekommen noch
festgestellt wird, kann der Senat die sonstige Zulässigkeit der Volksinitiative vom
Hamburgischen Verfassungsgericht überprüfen lassen. Das Verfahren der
Volksinitiative ruht. Sie fällt dann wahrscheinlich durch Zeitablaufaus dem Rennen.

Fall 3:

Eine Volksinitiative ist zustande gekommen und zulässig im Sinne von Satz 6 des
Gesetzentwurfs .

Die Volksinitiative muss mit einem Vorlauf von 14 Tagen ein Volksbegehren erfolgreich
durchführen, bei dem innerhalb von drei Wochen mindestens fünf Prozent aller
Wahlberechtigten (ca 65.000) unterschreiben. Tatsächlich werden wenigstens 80.000,
besser 90.000 Unterschriften geleistet werden müssen, um die notwendige Zahl gültiger
Unterstützungsunterschriften sicher zu erreichen. Die notwendige organisatorische und
finanzielle Vorbereitung des Volksbegehrens ist mit dieser Vorbereitungszeit nicht
leistbar, selbst wenn man davon ausgeht, dass der Beschluss zur Durchführung eines
Referendums vorher bekannt war. So ein Beschluss kann in der Bürgerschaft sehr
kurzfristig gefasst werden.
Das Zeitproblem besteht auch für die Verwaltung. Nach Artikel 50 Absatz 3 Satz 6 der
Hamburgischen Verfassung führt der Senat das Volksbegehren durch. Er muss das
Volksbegehren öffentlich bekannt machen, die sechswöchige Briefeintragungsfrist
gewährleisten und Eintragungslisten in den Ämtern auslegen und die Volksinitiative
beraten. Die Verwaltung kann/darf erst nach dem Beschluss der Bürgerschaft aktiv
werden. Wie sollen Erstellung und Druck des erforderlichen Materials in nur 14 Tagen
geleistet werden? Und die sechswöchige Briefeintragung ist nicht möglich. Sie müsste
eine Woche vor dem Beschluss der Bürgerschaft beginnen.

Das Volksbegehren ist so nicht durchführbar. Das Volksbegehren wird scheitern.

Nach den geltenden Bestimmungen hat eine Volksinitiative nach Einreichung der
Unterschriften 8 bis maximal 16,5 Monate Zeit.

Eine Gegenvorlage durch die Volksinitiative wird es beim Referendum wie in den Fällen
1 und 2 also auch hier nicht geben.

Fall 4:
 
Ein Volksbegehren ist zustande gekommen (Satz 5 des Gesetzentwurfes).

Das Anliegen des Volksbegehrens ist als Gegenvorlage dem Referendum beizufügen. Die
Volksinitiative, Träger des Volksbegehrens, verliert durch den Referendumsbeschluss
die Führungsrolle im Verfahren. Die Gegenvorlage kommt nicht mehr aus der
Bürgerschaft, sondern über die Volksinitiative. Diese mehr symbolische Veränderung
wäre an sich kein Problem. Das Problem für die Volksinitiative besteht im Verlust des
Rechts, den Zeitpunkt für die Volksabstimmung zu bestimmen. Ohne den
Referendumsbeschluss wird der Volksentscheid am Tag Wahl zur Bürgerschaft oder
zum Bundestag stattfinden, falls die Initiative nicht den Antrag stellt, den Entscheid an
einem anderen Tag stattfinden zu lassen. Das wird sie in aller Regel nicht wollen, weil
dann das Zustimmungsquorum schwerer zu überwinden ist.

Wenn die Abstimmung nicht am Tag der Wahl zum Bundestag oder zur Bürgerschaft
stattfindet, was hoch wahrscheinlich sein wird, ist das Risiko erheblich, dass beide
Vorlagen am Zustimmungsquorum (20 % aller Wahlberechtigten müssen Ja zu einer
Vorlage sagen) scheitern werden. Dann bleibt alles, wie es ist.

Sonderfall „verfassungsändernde Volksinitiativen“ :

Werden verfassungsändernde Volksinitiativen thematisch, also nicht inhaltlich, durch
einen Referendumsbeschluss übernommen, dann gilt ein neu eingeführtes Quorum für
das Referendum: 50 % aller Wahlberechtigten und zugleich 2/3 aller Abstimmenden
müssen zustimmen (siehe unten), wenn das Referendum nicht am Tag der Wahl zum
Bundestag oder zur Bürgerschaft stattfindet. So ein Quorum wurde weltweit bisher erst
zweimal überwunden. Am Tag außerhalb einer Wahl ist es unmöglich.
Erfolgreiche verfassungsändernde Volksinitiativen können damit von Senat und
Bürgerschaft in jedem Fall verhindert werden.
Satz 8 Absatz 4b des Gesetzentwurfes: 8) Eine außerhalb des Tages der Wahl zur
Bürgerschaft oder zum Deutschen Bundestag zur Abstimmung stehende
Verfassungsänderung ist angenommen, wenn zwei Drittel der Abstimmenden und
mindestens die Hälfte der Wahlberechtigten zustimmt

Zeitpunkt des Referendums

In Satz 4 des Gesetzentwurfes, Absatz 4b, heißt es: 4) Die Bürgerschaft beschließt auf
Vorschlag des Senats mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der gesetzlichen
Mitgliederzahl über den Termin des Bürgerschaftsreferendums. (Diesen wichtigen
Satz hatte ich in der ersten Fassung dieses Papiers übersehen) Damit wird in der
Verfassung keine Frist für die Durchführung des Referendums festgelegt. Es ist
damit aber auch nicht mehr möglich im Ausführungsgesetz so eine Frist festzulegen.
Solche wichtigen Fristen sollten in jedem Fall gesetzlich festgelegt sein, um das
Verfahren zu sichern und Missbrauch zu vermeiden. So ist es auch sonst im
Volksabstimmungsverfahren.

Der Beschluss der Bürgerschaft ein Bürgerschaftsreferendum durchzuführen ist also
entkoppelt vom Beschluss über den Termin. Das hat Folgen.

Das Interesse ein Referendum durchzuführen, kann sich kurzfristig ändern, z.B. bei
einer Oppositionspartei, deren Zustimmung für die zwei Drittel-Mehrheit
beim
Beschluss zur Durchführung eines Referendums erforderlich war. Sie kann den
Beschluss nicht mehr rückgängig machen, dazu braucht es eine Zweidrittelmehrheit.
Dann bleibt nur noch der Weg, die Zustimmung zu einem Termin für das
Referendum zu verweigern. Den Abstimmungstermin kann auch der Senat
verhindern, wenn er keinen Vorschlag für einen Termin macht.

In jedem Fall bleiben in dieser Zeit Volksinitiativen zum selben Thema unzulässig,
zustande gekommene Volksbegehren ruhen, ev. bis zum Ende der
Legislaturperiode. Nach der Neuwahl der Bürgerschaft dürfte das Problem bestehen
bleiben, wenn die Mehrheitsverhältnisse keine Aufhebung des Beschlusses der alten
Bürgerschaft oder die Festlegung eines Termins für das Referendum erlauben. Das
Thema des Referendums ruht für Senat, Bürgerschaft und Volk.

Die Sperrfrist

Die in Satz 9 des Gesetzentwurfes genannten Sperrfristen von minimal 3 und maximal 5
Jahren gelten für die Einleitung von Volksinitiativen mit denen
Referendumsentscheidungen durch die Einleitung von Volksinitiativen wieder geändert
werden können. Da von der Einleitung der Initiative bis zum Volksentscheid etwa zwei
Jahre vergehen, kann es nur nach 5 bis 7 Jahren zu einer Änderung durch
Volksentscheid kommen.

Fallanalyse: Auswirkungen der Verfassungsänderung.

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